„Ab jetzt kann es ja nur noch besser werden“, dachte ich mir am Abend im Kloster Roncesvalles noch. Aber weit gefehlt. Am zweiten Tag von meinem Jakobsweg, dem Camino Francés, stand der weitere Abstieg aus den Pyrenäen auf dem Plan – und ich hätte nie gedacht, dass ich es so sehr verfluchen würde, kilometerweit bergab zu gehen. Das Resultat des Tages: Blasen, schmerzende Knie und jede Menge Galgenhumor.

Nach der Pyrenäenüberquerung am Tag zuvor ging es mir noch erstaunlich gut. Klar, ich war stundenlang nass bis auf die Haut, meine Beine zitterten ganz böse und ich dachte, schlimmer könnte es nicht mehr werden. Falsch gedacht – nach der zweiten Etappe bin ich schlauer. Von Roncesvalles nach Zubiri sollte es gehen und auch, wenn die letzten Kilometer die Hölle waren, bin ich lebendig angekommen. Nach insgesamt 7 Stunden und über 21 Kilometern, die durch die Höhenunterschiede laut Schrittzähler eher ca. 27 waren.

Jakobsweg: 100% Motivation am zweiten Morgen

Die Nacht im Kloster war grauenvoll. An sich ist es dort echt ziemlich sauber, die ehrenamtlichen Helfer aus den Niederlanden kümmern sich liebevoll um alles und die Ausstattung der Gemeinschaftsräume und der Küche ist auch viel, viel besser als erwartet. Leider waren die drahtige Matratze in unserem Kellerloch (wie Igor von 7 Kontinente bei Instagram fragte: „Bist du im Gefängnis?“), die Eiseskälte, die nassen Klamotten und das lautstarke Geschnarche meiner Mitpilger nicht unbedingt das, was einen wohlbehüteten Schlaf zur Folge hat.

Ab geschätzt ein Uhr nachts lag ich wach und habe gefroren. Als ich zum ersten Mal das Handy aus dem Rucksack kramte, hoffte ich inständig, dass es einfach schon spät genug sein würde, den Weg zu starten. Es war drei Uhr. Um fünf Uhr hievte ich mein Backpack vom Bett, schleppte alles in den Aufenthaltsraum, packte dort zusammen und war noch vor sechs Uhr in der Dunkelheit draußen auf dem Weg. Ich war echt erstaunt: Meinen Rucksack merkte ich kaum, die Beine liefen wie geschmiert und meine Füße fühlten sich nach der Pyrenäenüberquerung in Nikes ebenfalls bestens an. Hatte ich deutlich schlimmer erwartet!

Camino Francés: Nachtwanderung nach Burguete

Etwa zwanzig Minuten lang beleuchtete nur meine Handytaschenlampe den Waldweg, dann erspähte ich den runden, strahlenden Mond am Himmel, der ein Schild anleuchtete: Forest of Witchcraft. Wait… What? Wenige Minuten vorher hatte ich noch darüber nachgedacht, dass es schon etwas spooky war, in der kompletten Dunkelheit allein durch den Wald zu latschen. Kurz darauf kam ich aber an einer Bar vorbei, in der schon das Licht brannte, und erreichte die Hauptstraße, die mich direkt nach Burguete führte.

Das kleine Städtchen sah in der romantischen Nachtbeleuchtung wunderschön aus, neben mir plätscherte Wasser an der Straße vorbei. An der Bank (die sich praktischerweise direkt an der Jakobsweg-Abzweigung befindet) holte ich noch schnell neues Bargeld und kramte die Handy-Taschenlampe wieder hervor, um durch Wald und Wiesen zu wandern.

Im Slalom ging es an Kuhfladen vorbei und ich war so darauf fixiert, nicht in tierische Exkremente zu treten, dass ich plötzlich total erschrak: Wenige Zentimeter neben mir auf dem Boden lagen drei riesige Kühe, die mich gelangweilt anblickten und weiter auf ihrem Gras herumkauten.

Camino Francés: Pilger-Überholung in Espinal

Etwa acht Kilometer später (die Sonne war inzwischen aufgegangen) sah ich zum ersten Mal ein paar andere Pilger, die mich überholten, während ich fünf Minuten Trinkpause auf einer Parkbank machte. Na toll, jetzt schon? Naja, vielleicht waren die ja aber auch erst in Burguete gestartet oder hatten die Tour generell in Roncesvalles begonnen und nicht schon die Pyrenäenüberquerung hinter sich.

Nach und nach zogen einige Pilger mit einem freundlichen „Buen camino“ an mir vorbei. Egal: Mein Weg, mein Tempo. Vor allem konnte ich so zwischendurch noch ein paar schöne Fotos schießen und mich ausgiebig an den vielen Kühen, Pferden etc. am Wegesrand erfreuen.

Jakobsweg: Wenn die Kraft schwindet und die gute Laune kippt

Trotz einiger Auf und Abs war ich nach wie vor bester Laune. War das denn die Möglichkeit? Ich hatte doch eigentlich erwartet, dass ich an diesem Morgen nicht einen einzigen Schritt gehen können würde. Und dann ging das Drama los. Nach mehreren steilen Stücken bergauf, ging es die letzten Kilometer nur noch bergab – zwar dank das guten Wetters nicht mehr ganz so schrecklich rutschig wie am Tag zuvor, aber immer noch verdammt steil und gefährlich.

Als ich der festen Überzeugung war, dass sich bald der Wald lichten und mir das heilige Ortseingangsschild von Zubiri erscheinen müsste, erwartete mich leider nur ein „Zubiri 7,5 km“.

Ernüchterung pur. So allmählich machte sich der Rucksack auf meinen Schultern doch bemerkbar – wenn auch nur insofern, dass meine Füße langsam echt verdammt platt waren. Die Pyrenäenüberquerung am Tag zuvor war sportlich gesehen das Krasseste, was ich bisher je gemacht habe. Und so etwas macht sich bemerkbar, wenn es am nächsten Tag direkt weitergeht.

Zwischenzeitlich waren alle Schmerzen vergessen, denn nachdem ich an der letzten Raststelle ein riesiges Stück Wassermelone verdrückt hatte, rebellierte mein Magen so stark, dass ich mich vorsichtshalber schon nach einer Notfalltoilette in den Büschen umschaute. Gott sei Dank beruhigte sich das Verdauungssystem aber von selbst – und ich konnte mich wieder voll auf die anderen Schmerzen konzentrieren. Juchu.

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Jakobsweg: Drei Kilometer bergab – Todesurteil für die Knie

Drei Kilometer können verdammt lang sein und sich ziehen wie Kaugummi. Vor allem, wenn man bei jedem Schritt darauf achten muss, wohin man tritt. Am Wegesrand saßen auf einmal immer mehr Pilger, die mehr oder weniger leise jammerten. Dieser Weg verlangt echt was von einem ab. Ganz egal, ob man am Vortag bereits über den Berg geklettert war oder seinen Camino am Morgen erst gestartet hatte. Egal, ob man in Wanderschuhen, Trekking-Sandalen oder Sportschuhen unterwegs ist. Egal, ob mit fünf, zehn oder fünfzehn Kilo Gepäck.

Dann, irgendwann, erschien hinter den Bäumen das Ortseingangsschild und unser kleiner Wandertrupp (eine US-Amerikanerin, ein Spanier und ich), der sich erst vor einem halben Kilometer gebildet hatte, erreichte die Brücke. Die erste Herberge war bereits komplett belegt, in der zweiten ergatterten wir die letzten Betten.

Zubiri: Endlich am Ziel angekommen!

Nach der zweiten Etappe kommen bei den ersten Pilgern bereits Zweifel auf und die Etappen für die nächsten Tage werden angepasst. Ich fühle mich wie ein Weichei, weil ich kaum noch von meinem Etagenbett klettern kann. Als ich im Supermarkt aber nicht die Einzige bin, die sich nicht mehr bis zum unteren Regal bücken kann, geht es mir schon bedeutend besser. Ausgerechnet die Blasen, die von außen betrachtet am schlimmsten aussehen, merke ich witzigerweise kaum…

Wir ziehen uns gegenseitig hoch und die Hilfsbereitschaft unter den Pilgern ist erstaunlich. Ganz selbstverständlich schmeißt man für eine Ladung „Laundry“ in der Herberge zusammen, teilt sein Essen mit Wildfremden und hilft sich gegenseitig mit Pflastern, Salben und vielem mehr aus. Am ersten Tag waren alle am Stöhnen.

Das war nix gegen das, was uns alle am zweiten Tag erwartete. In der Albergue Zaldiko, wo ein Bett nur 10 € die Nacht kostet, gibt es immerhin bequeme Betten, Decken, Schließfächer und alles, was man braucht. Und alle sind gespannt, was sie am nächsten Tag erwarten wird. Und ob sie dann überhaupt noch gehen können. Ich für meinen Teil bezweifle es stark.

 

Interessiert, wie es weitergeht? Hier geht’s zum dritten Teil!

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